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Gleichgewicht inmitten von Hektik

Für viele ist es schwer, ein Gleichgewicht zu finden, aber für diejenigen von uns mit Autismus oder ADHS kann es sich so anfühlen, als würden wir mit tausend Dingen gleichzeitig jonglieren, wobei jede kleine Aufgabe um unsere Aufmerksamkeit buhlt und wir Schwierigkeiten haben zu entscheiden, was am dringendsten oder am wichtigsten ist. Die Reizüberflutung einer schnelllebigen Welt kann überwältigend sein, so dass wir nach dem ruhigen Fleck im Sturm suchen und oft zum Scrollen zurückkehren, um unserem Gehirn zu entkommen und dem Dopaminrausch nachzujagen. Eine Pause zu machen, scheint oft unmöglich.

Hier sind also einige Tipps, die mir oft geholfen haben. Trotzdem ist es okay, wenn an manchen Tagen alles schief geht.

💞 Tut was ihr wollt, denn Piraten sind frei

Finde einen Weg, das Alltägliche lustig zu machen. Ich muss zum Beispiel die coolen Piratenmünzen aus Metall aus dem lahmen Plastikbehälter in die coole Schatztruhe „retten“. Und ich kann sie später zum Spaß benutzen. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Das gibt mir Dopamin bei der Hausarbeit und beseitigt das schlechte Gewissen, das ich vielleicht habe, weil ich „dummes Zeug“ kaufe.

(ScienceDirect, 2025. Gamified interventions for autism spectrum disorder: A systematic review.)

🐢🐇 Die Schildkröte gewinnt das Rennen

Beginne deinen Tag mit den langweiligen Aufgaben, die erledigt werden müssen. Denn das, was dir an diesem Tag als erstes einen Dopamin-Kick verschafft, wird dir mit größerer Wahrscheinlichkeit auch im Laufe des Tages weiterhelfen. Ich versuche also, meinen Tag damit zu beginnen, die Wäsche zu waschen und die Spülmaschine auszuräumen. Das ist immer dasselbe, man braucht kein Gehirn, und es ist immer schon eine Leistung. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt weiterarbeite, ist hoch. Ich bin auf der Jagd nach dem Dopamin. Wenn ich mit den sozialen Medien anfange, während ich noch im Bett liege, werde ich wahrscheinlich wieder dort langen im Verlauf des Tages.

(National Institute of Mental Health, 2020. Dopamine affects how the brain decides whether goal is worth effort.)

🍓Schmecke die Erdbeere

Es gibt eine schöne Achtsamkeitsübung, bei der man eine Erdbeere nimmt und sie ansieht, zwischen den Fingern spürt, riecht und schließlich schmeckt. Alles muss sehr bewusst aufgenommen werden. Aber die Sache ist die: Sie können das mit allem machen. Versuchen Sie, Ihr Lieblingslied zu hören und achten Sie auf die kleinsten Dinge darin. Dieses Verweilen in der Gegenwart kann Ihnen helfen, sich geerdeter zu fühlen, und lässt Sie einen Schritt zurücktreten, um zu sehen, was Ihre Aufmerksamkeit in diesem Moment wirklich braucht.

(Liu, C., et al. (2024). Mindfulness Exercises Reduce Acute Physiologic Stress Among Clinicians. Journal of Integrative Medicine, 22(1), 45–52.)

Der Garten des Geistes

Für Menschen mit Autismus oder ADHS kann die Pflege ihres mentalen „Gartens“ eine tägliche Herausforderung sein. Manchmal kommt uns selbst bei den kleinsten Aufgaben unsere exekutive Dysfunktion in die Quere, und das Unkraut des Stresses kann überhand nehmen. Aber genau wie ein echter Garten braucht auch unser Geist beständige Pflege - kleine, sanfte Momente der Achtsamkeit. Beständigkeit ist schwer, besonders für Menschen wie uns, stimmt's? Aber ich habe ein paar einfache Tipps für die Pflege des mentalen Gartens gefunden, die vielleicht helfen könnten.

A woman tends tenderly to her plants, while thorny vines with her duties are crawling around her

🌸 Hinzufügen, nicht entfernen

Gewünschtes wird hinzugefügt, vorsichtig, achtsam. Man möchte sich dann um “die Neuen” kümmern. Vielleicht will man sogar Platz machen für das Neue und sortiert Unerwünschtes einfach aus. Aber selbst wenn nicht, bekommen “die Neuen” mehr Aufmerksamkeit, weshalb das Unerwünschte langsam verdrängt wird und verkümmert. Mit der Zeit verschiebt sich das Verhältnis von Gut zu Schlecht wie man es sich wünscht.

(National Institute of Health, 2012. Breaking bad habits.)

🌸 Zurückkehren, nicht bleiben

Der Garten überlebt, auch ohne ständige, andauernde Pflege. Lediglich, dass die Pflege immer wieder stattfindet, ist entscheidend, egal wie lange das letzte Mal her war. Je öfter, desto besser - aber auch gelegentliche Pflege hilft beim Wachsen. Und je stärker die Pflanzen, desto mehr verselbstständigt sich das Ganze und weniger Pflege ist nötig.

(Mooradian, T., et al. (2021). Beyond Passion and Perseverance: Review and Future Research Directions on Grit.Psychology, 12, 787305.)

🌸 Einen Samen nach dem Anderen

Man muss nicht alles auf einmal pflanzen. Es ist im übertragenden Garten nicht so wichtig, ob man die Erbsen oder Tomaten zuerst pflanzt, auch wenn das im echten Garten anders aussieht. Wichtig ist, anzufangen!

(Healthline, 2021. What does it really take to build a new habit?)

Abschalten zum Anschalten

📵 Wenn man Autist ist oder ADHS hat, kann es besonders schwierig sein, sich von der endlosen Stimulation durch Bildschirme zu lösen. Ob es nun die überwältigende Anziehungskraft von Nachrichten oder die Jagd nach der nächsten Sensation, auch bekannt als Dopamin-Hit, in den sozialen Medien ist, es ist leicht, sich im digitalen Lärm zu verlieren. Aber auch der ständige Druck von Hausarbeit, Familie und Beruf hat unsere Aufmerksamkeit fest im Griff. Oft fühlt es sich so an, als würden wir auseinandergerissen, weil wir uns nicht um alles kümmern können und schon gar nicht um alles auf einmal.

Woman is painting, the pressuring tasks are fading into the background

🪓 Schärfe die Axt

Es gibt eine kleine Geschichte über zwei Holzarbeiter, gleiche Axt, gleiche Fähigkeiten, gleiche Kraft und Energie. Am Anfang sind sie gleich schnell, aber mit der Zeit werden sie beide langsamer. Der eine Holzarbeiter strengt sich also noch mehr an und war ist bald erschöpft. Der andere Arbeiter setzt sich hin, macht eine Pause und schärft seine Ausrüstung, die Axt. Indem er das ab und zu tat, hat er schlussendlich sehr viel mehr erreicht. Wenn man sich also am Tag oder in der Woche eine Auszeit nimmt und etwas nur für sich selbst tut, schärft das den Geist und verschafft dem Nervensystem eine wohlverdiente Pause.

(Zedelius, C. M., & Schooler, J. W. (2016). The bright side and dark side of daydreaming predict creativity. Frontiers in Psychology, 7, 1314.)

☝🏼 Mit den Händen fühlen

Studien zeigen, dass das Gehirn besser versteht, wenn die Hände mitmachen können. (Cherry, K., 2019. Working with Your Hands Does Wonders for Your Brain, Psychology Today. / National Institutes of Health, 2017. Neuroscience of Hand and Finger Movement. National Institute of Health)
Ein anderes Wort für verstehen ist begreifen, was nicht von Ungefähr kommt, da die Hände etwas ergreifen und das Gehirn dann versteht. Wenn man also etwas anfasst, etwas mit den Händen und nicht nur auf dem Bildschirm tut, verlangsamt sich das gesamte Nervensystem und konzentriert sich. (vgl zB Baker et al. (2012). The effects of knitting on the mental health of women. The Arts in Psychotherapy.) Das ist der Grund, warum Tagebuchschreiben für manche so effektiv ist. Aber man kann den gleichen Effekt auch erreichen durch Kritzeln, Töpfern, Stricken, Weben, Häkeln.... (Liste bitte nach Belieben weiter führen).
Andere Studien zeigen, dass Handbewegungen und das Hantieren mit physischen Objekten die kognitive Verarbeitung verbessern (Huang et al., 2015. The Impact of Hand Movements on Cognitive Processing, Journal of Cognitive Neuroscience). Eine weitere Untersuchung von Rijntjes et al. (2011. Hand Movements in Cognitive Tasks, PLoS ONE) belegt, dass Handbewegungen die Gehirnaktivität in den Bereichen fördern, die mit Problemlösungs- und Erinnerungsprozessen in Verbindung stehen.

🚊Den Gedankenzug verlangsamen

Für jede einzelne Aufgabe plane ich eine Übergangszeit ein. Für uns neurodiverse Menschen ist es sehr wahrscheinlich, dass wir nicht wie Neurotypische von einer zur nächsten Aufgabe schalten können. Darum plane ich genügend Zeit für den Wechsel zwischen Aufgaben ein, wenn ich drank denke. Das können 5 Minuten sein, bei mir sind es eher 20 Minuten. Und ich brauche auch eine Entspannungsmethode, wenn das eine “immerwährende Aufgabe” ist. Das kann sein: „Wenn diese Playlist zu Ende ist, bin ich für heute mit dem Entrümpeln fertig“ oder „Ich muss diesen Behälter auffüllen, dann bin ich fertig“. Und dann kurz inne halten und über das freuen, was getan ist. Dasselbe gilt für den Abend: Ich gebe ein, wie mein Tag war, und mein Bildschirm wird grau, dann weiß ich, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen (und dafür habe ich auch einen Wecker.) Ich schränke auch die Nutzung einiger Apps direkt in meinem Telefon ein, damit ich die Zeit nicht aus den Augen verliere.

(Dettmer, S., et al. (2000). Transition Time: Helping Individuals on the Autism Spectrum Move Successfully from One Activity to Another. Indiana Resource Center for Autism.)

🌿 Ruhe zu finden kann für jeden eine Herausforderung sein, aber für diejenigen unter uns, die neurodivergent sind, kann es sich so anfühlen, als würden wir uns in einer ganz anderen Welt bewegen. Ob es das Chaos der Reizüberflutung ist, die exekutive Dysfunktion oder die Schwierigkeit, den Fokus von der Reizüberflutung zu lösen - unsere Wege zur Ruhe sind einzigartig.

Und nun zu etwas, woran ich mich jeden Tag erinnern muss:

Es ist in Ordnung, wenn man seine selbst gesteckten Ziele nicht erreicht, da sie wahrscheinlich von vornherein sehr unrealistisch sind, solange man nicht komplett aufgibt!

Oder mit anderen Worten: Du hast nicht verloren, solange du nicht aufgibst!

Perfektion ist unerreichbar, Beständigkeit fühlt sich fast genauso unerreichbar an, aber immer wieder zurückzukommen, ist machbar. Darauf sollten wir uns konzentrieren! Es ist in Ordnung, wenn man 3x täglich an seinen Zielen arbeitet, sieben Tage am Stück und dann eine Woche lang nicht und in der folgenden Woche nur 2x vorbei schaut. Hey, ich habe ein Webstück, das ich seit über einem Jahr versuche aufzuketten, nicht fertiggestellt, aber ich komme ab und zu zurück. Das ist in Ordnung, solange man sich um das kümmert, was getan werden muss.